12. Jahrestagung, 11.-14. Juni 2009

Unser aktuelles Jahres-Thema "Geständnis und Urteil" wird unsere Diskussion des vergangenen Jahres fokussierter fortsetzen. Wiederum verstehen wir das Geständnis vorrangig im juridischen Sinne, wie es im Zusammenhang mit einem Gerichts- / bzw. Ermittlungsprozess in Erscheinung tritt. Das Genre der biographischen Bekenntnisse (in der Traditionslinie Augustinus, Rousseau etc.) und weitere Geständniszusammenhänge (Beichte in der Kirche; Foucaults sexuelle Geständnispraktiken, das psychoanalytische Gespräch etc.) sind dabei als Kontrastfolien wichtig, jedoch soll der thematische Primat des juridischen Geständnisses nicht aus den Augen verloren werden.

Leitendes Interesse am Gegenstand "Geständnis" ist es, das Zusammenspiel von Selbst- und Machttechnologien im Kontext juridischer Dispositive der Moderne zu untersuchen. Dabei wollen wir zunächst diskursive Muster (im Sinne eines kulturpoetischen Archivs) und nicht-diskursive Praxen (z.B. Körperperformanzen etc.) auf einer ersten Ebene untersuchen. Sodann geht es auf einer zweiten Ebene um die Frage, mit welchen Verfahrenstechniken die untersuchten Medien diese Sinnmuster arrangieren, inszenieren und reflektieren.

Vier Bündel von Fragezusammenhängen haben sich herauskristallisiert:

Subjektkonstitution:
- Selbsttechniken, Machttechnologien der Subjekte (Befrager, Befragte)
- Akteurkonstellationen zwischen dem Befragenden und dem Gestehenden: persönliche Beziehung, Symbiotik vs. Machthierarchie, ihre Interaktionen und Strategien
- Aktanten: Täter, Opfer, Helden, tragische Helden
- Verhandlung von Körperlichkeit: Gender, Sexualität, Erotik

Authentifizierung:
- Selbstinszenierung (zwischen Preisgabe und Verbergen; Strategiewechsel)
- Gefühlsausdruck / "display of emotions" – als Verfahren der Selbstpräsentation und der subjektiven Beglaubigung, auch im Kontext einer Semiotik von Authentifizierungsindizes
- Die Rolle des Beweises: Wahrhaftigkeit von Aussagen versus Objektivierung durch externe dingliche Referenz (hier auch: zunehmend dominante Rolle von psychiatrischen Gutachten und anderer fachlicher Expertise)
- Inszenierung gegenüber anderen Figuren versus gegenüber dem Publikum (Dramaturgie): Peripetien, Anagnorisis

Konflikt zweier Gerechtigkeitssysteme bzw. Geständnis versus Bekenntnis
- Geständnisse sind Bekenntnisse, insofern sie sich einem bestimmten System der Gerechtigkeit ausliefern. So beziehen sich Geständnisse gerade nicht auf die positive Rechtsordnung, sondern auf eine "höhere Gerechtigkeit". Jene erscheint oft in Gestalt von Religion (die "wahre", göttliche Gerechtigkeit), einem Ideal (Freiheit, Humanität) oder der Vorstellung gesellschaftlichen / geschichtlichen Fortschritts. Das Geständnis kann somit sogar zum Angriff auf die bestehende Ordnung werden. Hier sind Fragen der Legitimierung der eigenen und Delegitimierung der anderen Ordnung aufgeworfen. Worin bestehen deren kommunikationsstrukturellen Gemeinsamkeiten, worin die Unterschiede? Welche weiteren Bezugsgrößen gibt es? Wie sehen die De/Legitimierungsstrategien aus? An wen richten sie sich: an die Gegenfigur / das Publikum / eine ideale Gemeinschaft?
- Pathologisierung des Bekenntnissubjekts vs. Moralisierung des Befragersubjekts (durch die Figuren selbst intradiegetisch vs. durch die Darstellungsverfahren extradiegetisch)
- Recht / Unrecht-Codierung beziehungsweise Gut / Böse-Codierung: mediale Verfahren der Melodramatik

Urteilen
- Durch konkurrierende Gerechtigkeitsordnungen wird jedes Urteil relativiert: Urteil im Text vs. Urteil des Lesers (vergleiche Schlussszenen in "M")
- Bei doppeltem Gerechtigkeitsbezug werden die Leser/Zuschauer oft parteiisch auf eine Seite gezogen. Welche Logiken der Identifikation nutzen die Texte dabei, welche ästhetischen Wirkungen erzielen sie und welchen gesellschaftlichen Stellenwert strebt ihre Poetik in ihrer Zeit an?
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Programm (PDF)

Ort: Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, Büchereien Wien

Jahresthema 2008/09: Confession and Judgement - Geständnis und Urteil