13. Jahrestagung, 1.-4. April 2010

Die aktuelle Debatte in Philosophie und Politik über das Versprechen der neuen Biotechnologien, mittels Verbesserung des menschlichen Erbguts eine Multiplizierung individueller Leistungsprofile (und damit indirekt des gesamtgesellschaftlichen Potentials) zu garantieren, stößt in der historischen Kontextualisierung ihres Gegenstandes auf ein seit der Aufklärung in die Breite wirkendes prometheisch-perfektibilistisches Emanzipationsnarrativ, das eine Selbstermächtigung bzw. -vervollkommnung der aus den Fesseln des Herkommens entlassenen Humangattung für möglich und erstrebenswert hält.
Geschichtlichen Ausdruck hat diese Ursehnsucht der Moderne gewonnen in den Myriaden von Entwürfen zur Hervorbringung eines ´neuen Menschen´; ein zwischen Verheißung und Drohung changierender Konversionsappell, der in seiner Ubiquität alle kulturellen Grenzmarken der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts scheinbar spielend überwindet, so ungleich sich die Methoden seiner Verwirklichung (etwa durch Arbeit, Erziehung, Sport, Schönheitsoperationen, architektonische Raumgliederung) und seiner Zielsetzungen in den diversen Reformbewegungen, Avantgardismen und politischen Strömungen auch ausnehmen mögen.
Wissenschaftsstrategisch offerieren die aktuellen Diskussionen um eine anthropotechnische Selbstkonstitution des Menschen ein klärendes Kriterium, jene antimodernistischen, antizivilisatorischen und dekadenzgeschichtlichen Begründungen einer Erneuerungsnotwendigkeit des Menschen, die bislang im Zentrum der Forschung standen, abzusetzen von Umgestaltungsprojekten, welche die Begrenzungen der eigenen menschlichen Natur radikal aufzuheben suchen. Wenn die Forschung bislang die Ideen einer Neugestaltung des Menschen etwa im Expressionismus (und noch mit Blick auf die negative Eugenetik der Nationalsozialisten) vornehmlich auffasste als Archäologie einer durch die Zivilisation verschütteten authentischen Natur des Menschen, unterschlägt sie dabei tout court die zeitgleiche Faszination für eine entfesselte Technisierung des Menschenkörpers im Fordismus oder unter dem Diktat des Großstädtischen. So fehlen kulturwissenschaftliche und kulturgeschichtliche Untersuchungen zu den Radikalismen aktiver Manipulation und Überwindung psychischer und körperlicher Naturbegrenzungen, die im Gegensatz oder in interner Spannung zu den dekadenztheoretischen Bewegungen stehen, fast völlig.

Aus diesen Beobachtungen resultiert eine Reihe spezifischer Fragen, die auf der Jahrestagung der Forschungskooperation BTWH anhand konkreter Texte und Beispiele in einem kulturwissenschaftlichen (interdisziplinären) Horizont diskutiert werden sollen:

- Inwiefern lassen sich in der frühmodernen Geschichte (etwa im christlichen Vorstellungskreis oder in der Aufklärung) Spuren und Ansätze einer gnostischen Ablehnung menschlicher Natürlichkeit erkennen?
- Durch welche Strategien und Praktiken wird der neue Mensch in der Moderne erzeugt? In welches Spannungsverhältnis treten diese verschiedenen Faktoren? Wie sind sie politisch und geschichtlich markiert?
- An welchen Menschenbildern orientieren sich die verschiedenen politischen Erneuerungsbewegungen (etwa des russischen Kommunismus, aber auch der Österreichischen Sozialdemokratie)? Wie lassen sich die Zielgrößen beschreiben, auf die hin die Bedingtheiten des Menschen manipuliert werden sollen?
- Durch welche Größen und Konzepte werden (die utopischen/dystopischen) Möglichkeiten und Grenzen der biotechnischen Veränderung des Menschen bestimmt?
- Wie verhalten sich die verschiedenen historischen Avantgarden (insbesondere der Futurismus und die Neue Sachlichkeit/ Bauhaus-Gruppe zum Problem der anthropotechnischen Selbstformierung)? Was sind ihre Leitbegriffe für die Konzeption des neuen Menschen?
- Innerhalb welcher Grenzen, auf der Basis welcher Menschenbilder arbeiten die Bewertungen von menschlichen Erneuerungsmöglichkeiten in der Medizin, Bürokratie und politische Anthropologie?
- Welche Rolle spielt bei der Verhandlung von Identität das Verhältnis von chnik und Mensch und ihrer möglichen Hybridisierungen?
- Inwieweit wird durch technologische Innovationen und neue Medien die herkömmliche Geschlechterdichotomie in Frage gestellt (Cyberfeminismus)?
- Welche Bedeutung kommt den verschiedenen Formen der Selbstsorge und des übenden Lebens zu in Abgrenzung zu biotechnischen Manipulationen und religiösen Erneuerungsbewegungen?

The Conference organizers would like to acknowledge the kind support of the following organizations and groups:

The Doreen B. Townsend Center for the Humanities, UC Berkeley,
The Department of German, UC Berkeley,
The Institute of European Studies.

Poster (JPG)

Programm (PDF)

Ort: University of California at Berkeley, Dwinelle Hall 370

Jahresthema 2009/10: Der neue Mensch / The New Men

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